In letzter Sekunde
DRK und Feuerwehr Ein Mann kollabiert, ein Poller versperrt dem Notarzt den Weg zum Einsatzort. Kein Einzelfall im Landkreis Heidenheim. Mit welchen Problemen haben Rettungskräfte sonst noch zu kämpfen? (HZ v. 02.04.22).
Manchmal kippt die Stimmung von einem Moment auf den anderen: An einem Abend im Vergangenen Dezember sitzt Simon Müller (Name von der Redaktion geändert) zusammen mit seiner Familie und einem befreundetem Paar und dessen Kindern beim Abendessen im Nattheimer Neubaugebiet Riederberg. Man isst, lacht und unterhält sich. Auf einmal sagt der Mann des befreundeten Paares: "Mir wird komisch" und kippt um. Als klar wird, dass der Mann nicht mehr atmet, verständigt Müller den Notruf. Auf dem Weg nach Nattheim steht der Notarzt jedoch plötzlich vor einem Problem. Ein Poller versperrt dem Fahrzeug den Zugang zum Einsatzort.
"Nach etwa 20 bis 25 Minuten waren die ersten Helfer vor Ort", rekapituliert Müller den Abend. Über einen Umweg konnte der Notarzt letztlich zu dem Haus finden. Ein Umweg, der wertvolle Zeit gekostet hat, denn im Notfall zählt bekanntlich jede Sekunde. Dem Bekannten von Müller konte noch rechtzeitig geholfen werden, heute geht es ihm besser. "Die Leitstelle hat toll reagiert", lobt Müller. Per Telefon habe er beispielsweise Anleitung zur Ersten Hilfe erhalten.
Es ist nicht der erste Fall dieser Art in Nattheim. Laut Simon Müller habe es im Gebiet Riederberg in der Vergangenheit schon zweimal Situationen gegeben, in denen Rettungskräfte von jenem Poller ausgebremst wurden. Dr. Hariolf Zawadil, Sprecher der Leitenden Notarztgruppe Ostalbkreis, war an jenem Dezemberabend in Nattheim im Einsatz - vor allem nachts schickt die Leitstelle stets das Fahrzeug zum Einsatzort, welches am nächsten ist. Das Einsatzgebiet macht dabei vor der Kreisgrenze nicht halt.
Hirnschaden nach Minuten
Zawadil weiß um die Problematik des Pollers und darum, wie knapp es bei Noteinsätzen generell sein kann: "Bei einem Herz-Kreislauf-Stillstand hat man drei bis fünf Minuten, bevor das Gehirn Schaden nimmt. Glücklicherweise war es bei diesem Vorfall nur ein Kreislaufkollaps." Hätte man den Mann in Nattheim reanimieren müssen, hätte selbst Zawadil laut eigener Aussage nicht gewusst, wie die Situation ausgegangen wäre - "unabhängig vom Poller, wie man fairerweise sagen muss".
Auch der Rettungsdiestleiter des DRK Heidenheim, Jens Hofele, weiß, dass die Zeitspanne zwischen Notruf und Eintreffen des Rettungswagens generell ein Problem ist. "Für die Anwohner macht der Poller an sich sicherlich Sinn. Das Problem war in diesem Fall, dass er nicht in unserem Navi angezeigt wurde. Dort war die Straße als Durchfahrtsstraße gekennzeichnet.
Zeitliche Verzögerung
Wie kann das sein? Laut Hofele gibt die Gemeinde Straßendaten ans Landesvermessungsamt weiter, welches sie wiederum an die DRK-Leitstelle vermittelt. Allerdings gebe es dabei immer wieder enorme zeitliche Verzögerungen vonseiten des Landesvermessungsamtes. Dass das gerade im Gebiet Riederberg wiederholt für Probleme gesorgt hat, ist für Zawadil keine Überraschung. Generell dauere es eine Zeit lang, bis sich die Rettungskräfte in Neubaugebieten auskennen. Verschlungene Straßen, Bodenschwellen, fehlende Hausnummern - "das macht es uns nicht unbedingt leicht." Nun kommt es auch in Gebieten die nicht erst kürzlich bebaut wurden, immer wieder vor, dass das Navi diese oder jene Straße nicht erkennt. " Aber wir schauen ja auch nicht nur darauf", berichtet Jens Hofele. "Ortskenntnis gehört für Rettungskräfte einfach dazu." Deutlich größere Probleme verursachen laut Zawadil und Hofele Baustellen und damit verbundene Umleitungen, welche oftmals enorme Zeitverzögerungen mit sich bringen.
Immer mehr aggressive Fahrer
Zunehmende Schwierigkeiten bekomme das DRK heutzutage auch durch Falschparker und aggressive Autofahrer. "Da kann es schon mal passieren, dass wir einen Patienten im Krankenwagen versorgen, plötzlich die Wagentür aufgerissen wird und wir angeschnauzt werden, dass wir endlich die Straße freimachen sollen", ärgert sich Hofele. Doch auch der fließende Verkehr bringe Probleme mit sich. Der Grund: Autofenster sind inzwischen so gut isoliert, dass Autofahrer auch bei leise gestelltem Radio Sirenen teilweise schlichtweg überhören.
Im Gegensatz zu Krankenwagen und Co. hat die Feuerwehr selten bis gar nicht mit versperrten Wegen zu kämpfen. Michael Salwik, Pressesprecher der Feuerwehren im Landkreis Heidenheim berichtet: "Wir mussten ja zum Glück noch nicht zu jeder Adresse im Landkreis ausrücken. Aber im Prinzip gibt es keinen Punkt in der Region, der ein "Problemkind ist."
Feuerwehr besser ausgerüstet
Nun sind die Einsatzfahrzeuge der Feuerwehr in der Regel deutlich größer als etwa ein Krankenwagen. Woran liegt es also, dass die Feuerwehren nicht mit ähnlichen Problemen zu kämpfen haben? "Wir sind besser ausgestattet", erklärt Salwik. Wenn Menschenleben in Gefahr seien oder hoher Sachschaden drohe, könnten Hindernisse wie Schranken oder Poller schlichtweg demontiert werden, um den Weg freizumachen. Selbstverständlich kostet auch das Zeit. Situationen, in denen die Feuerwehr überhaupt nicht zum Einsatzort gelangen könnte, gab es laut Salwik in den vergangenen 20 Jahren glücklicherweise nicht.
Ein weitaus größeres Problem als Schranken und Poller stellen für die Feuerwehr unsachgemäß geparkte Autos dar. Diese wegzudrehen sei oft viel schwieriger. "Hier enden irgnendwann unsere Möglichkeiten", so Salwik: "Die Bevölkerung muss darauf sensibilisiert werden, dass auch ein kurzer Halt im Parkverbot unsere Arbeit behindern kann."
"Bereska war vorbildlich"
Die Poller-Situation in Nattheim hat sich inzwischen entspannt. Der Poller wurde so umgerüstet, dass Rettungskräfte ihn künftig manuell hoch- beziehungsweise herunterfahren können. Im Vorfeld hatten sich einige Anwohner, darunter Simon Müller, an das Nattheimer Rathaus gewandt, mit der Bitte, die Situation zu ändern. Bürgermeister Norbert Bereska habe "vorbildlich" reagiert, erzählt Müller. Und auch Hariolf Zawadil und Jens Hofele loben die Vorgehensweise der Gemeindeverwaltung, welche "sofort" nach Lösungsmöglichkeiten gesucht habe. "Das ist jetzt eine Situation, mit der ich zufrieden bin", findet Müller.
Helfer vor Ort: Die Lebensretter von nebenan
Notarzt und Rettungsdienst sind im Zweifelsfall nicht die Einzigen die bei einem Notfall helfen können. Beim Helfer-vor-Ort-System überbrücken ausgebildete Ersthelfer aus der Nachbarschaft die Zeit bis zum Eintreffen der hauptamtlichen Einsatzkräfte. Die ehrenamtlichen Lebensretter belegen im Vorfeld einen Erste-Hilfe-Kurs sowie eine Sanitätsausbildung. Darüber hinaus erhalten sie eine Schulung in der Herz-Lungen-Wiederbelebung und eine Einweisung in die Frühdefibrillation. Laut Jens Hofele haben die ehrenamtlichen Helfer den Ortsvorteil, da sie - verständlicherweise - bereits vor Ort sind, wenn ein Notfall eintritt. "Durch sie wurden sicherlich schon viele Menschenleben gerettet", lobt der Rettungsdienstleiter.